Romantische Liebe als Formschablone

Kaum ein Mythos überstrahlt die Gegenwart so sehr wie der Leitstern der romantischen, einzig wahren und für die Ewigkeit gemachten Liebe. Die Suche nach erfüllender Zweisamkeit erscheint als einziger Lebensentwurf, der nie hinterfragt wird und gipfelt nur zu gerne im fulminanten Höhepunkt der Hochzeit in Weiß. Doch was ist mit denen, die mit diesen amourösen Verlockungen so gar nichts anfangen können?

 

Es ist schon in einigen Artikeln auf den pseudoreligiösen Charakter der romantischen Liebe verwiesen wurden. Tatsächlich erscheint die romantische Liebe als Sehnsuchts- und Glückseligkeitstopos. Nicht wenige alloromantische Menschen glauben an den Traumpartner wie an einen gütigen Gott, versprechen sich von der erhofften Liebesbeziehung eine Erlösung und erwarten, dass der Partner ihnen die Pforte zum vielgelobten Paradies öffnet und ihnen dort nie gekannte Wonnen beschert. Die Mittel dazu liegen auf der Hand, man kann sie tagtäglich auf den Straßen beobachten: Küsse, Umarmungen, Streicheleinheiten, Händchenhalten und weitere Zärtlichkeiten aus dem romantischen Repertoire. Romantische Liebe als die ultimative Antwort auf die menschliche Sinnsuche.

 

Wo Romantikern vor freudiger Erwartung bereits die rosa Brille auf die Nase schwebt, stehen aromantische Menschen dem Phänomen der romantischen Liebe nüchtern gegenüber. Sie registrieren die Anstrengungen, die ihre romantischen Mitmenschen für eine Liebesbeziehung in Kauf nehmen. Sie wundern sich verständnislos über das Leid, das unrealistische Partnerschaftserwartungen mit sich bringen. Manchmal amüsieren sie sich auch über partnerschaftliche Verhaltensweisen, wenn der Mausepups dem Bussibärchen die letzte Gabel vom Teller stiehlt. Immer aber bleibt ihnen der Sinn dieser Welt verschlossen, zu der nur Zutritt hat, wer sich verlieben kann und in der Lage ist, Schmetterlinge im eigenen Bauch zu züchten.

 

Romantische Liebe ist omnipräsent

Gegen den heutigen Liebeskult wäre rein gar nichts einzuwenden, wenn er nicht wie eine Lawine über diejenigen hinweg rollen würde, die mit Beziehungskram und romantischen Liebesgefühlen wenig am Hut haben. Die romantische Liebe durchflutet die Handlung von Büchern, zaubert Klischees auf die Leinwände und setzt sich als Idealvorstellung im Kopf romantischer Menschen fest. Es gibt kaum einen Ort, wo man ihr nicht begegnen kann. Sie ist im Alltag allgegenwärtig, grüßt von Werbeplakaten und strahlt in Form glitzernder und blinkender Herzchensymbole in die Welt hinaus.

 

Dass diese Omnipräsenz auch ihre Schattenseiten hat, sieht man an dem traurigen Schicksal derjenigen Aromantiker, die sich selbst für ihr fehlendes Verliebtheitsgefühl als minderwertig erachten. Viele aromantische Menschen lassen sich nach wie vor von ihren romantischen Mitmenschen oder dem medial repräsentierten Liebesideal einreden, dass sie krank seien. Dass mit ihnen etwas nicht stimme und sie in dieser Welt falsch wären. Einige schlucken diese bitteren Pillen und glauben fortan selbst daran, dass sie auf der Sinnsuche des Lebens versagt haben und ihre Existenz keine Bedeutung haben kann, wenn sie weder mit einem Partner noch mit reichlich Nachwuchs aufwarten können.

 

Kein Platz für Diversität?

Vielleicht ist es Zeit, das romantische Liebesideal als die Seifenblase zu zerplatzen, die es in Wirklichkeit ist. Liebe ist vielfältig, ihre Erscheinungsformen können nicht nur romantisch, sondern auch platonisch sein. Sie kann ein paar Wochen andauern oder ein Leben lang. Aber es ist unsinnig, Gefühle in eine Formschablone zwängen zu wollen, die auf jeden Menschen passt und bis ans Lebensende ihre Gültigkeit behält. Nicht nur Aromantikern ist sie zu eng, ein Blick auf heutige Scheidungsstatistiken zeigt: auch für viele alloromantische Menschen gibt es kein ‚Für immer und ewig‘ mehr.

 

Romantiker wie Aromantiker sollten Liebe, Zuneigung und Verbundenheit innerhalb ihrer romantischen beziehungsweise platonischen Beziehungen so definieren, wie es für alle Beteiligten passt und die Diversität romantischer Orientierungen akzeptieren. Es gilt in beiden Fällen, sich an kein gesellschaftlich indoktriniertes und von außen aufgezwungenes Liebesideal zu halten, sondern an die eigenen Gefühle. Damit kann man nichts falsch machen.

 

Siku

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Kommentare: 11
  • #1

    Sarah (Samstag, 05 Dezember 2015 20:24)

    Ich bin froh, heute zu meiner aromantischen Orientierung stehen zu können und lasse mich in keine Schablone mehr pressen!

  • #2

    Mia (Sonntag, 06 Dezember 2015 09:12)

    Siku, Kari, meinen Respekt ! Die Seite ist super, komme immer wieder gerne her !

  • #3

    Kari (Sonntag, 06 Dezember 2015 09:43)

    Danke Mia, schön dass es dir hier bei uns gefällt!

  • #4

    Carmilla (Montag, 07 Dezember 2015 22:19)

    Habt ihr Links zu den Artikeln? Mir ist außerdem noch ein Buch bekannt, das sich auf humorvolle Weise mit der romantischen Überladung der Gesellschaft beschäftigt: "Liebe wird oft überbewertet" ist ein Sachbuch von Christiane Rösinger.

  • #5

    Siku (Dienstag, 08 Dezember 2015 08:26)

    Zu Carmilla: Ich habe da besonders den FAZ-Artikel von Markus Günther in Erinnerung, der letztes Jahr erschienen ist:
    http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/egoistische-zweisamkeit-ersatzreligion-liebe-13152087.html

    Hier ein Welt-Artikel von Nicola Erdmann, die u.a. auf Günther eingeht: http://www.welt.de/icon/article137266771/Ja-man-kann-sich-zur-wahren-Liebe-zwingen.html

    Und wer sich mit dem Ganzen mal aus religiöser Perspektive befassen möchte, ist mit diesem Artikel von Anselm Grün (einem Benediktinermönch) gut beraten. Erschienen ist er in dem Christ & Welt-Magazin der Zeit. Ich weiß allerdings nicht, ob man sich (kostenlos) auf der Seite anmelden muss, um ihn lesen zu können.
    http://www.christundwelt.de/detail/artikel/mehr-als-ein-gefuehl/

    Danke für den Buchtipp, Carmilla, den kannte ich noch nicht!

  • #6

    Mia (Mittwoch, 09 Dezember 2015 09:43)

    Mich macht die Engstirnigkeit der Menschheit wütend ! Wollen denn alle gleich sein ?

  • #7

    Julia (Freitag, 08 Januar 2016 16:13)

    @Carmilla: Stimmt, Rösingers Buch ist wirklich sehr lustig, und dabei informativ. Man findet dort so schöne Sätze wie "Pärchen, verpisst euch, keiner vermisst euch" oder "Ihr denkt, ihr seid im Märchen und seid nur blöde Pärchen". Beim Lesen habe ich mich allerdings ein bisschen an ihrer Definition von Asexualität gestört. Es ist natürlich super, dass sie die überhaupt erwähnt hat, aber sie hat sie so ein bisschen als eine Art Widerstand gegen eine übersexualisierte Gesellschaft dargestellt, hu!

  • #8

    Neo (Freitag, 08 Januar 2016 16:36)

    Die Sprüche von Rösinger mögen aus aromantischer Sicht auf den ersten Blick ja ganz witzig sein, ich störe mich aber an der latenten alloromantischen Diskriminierung. Außerdem wirken die Sätze ziemlich pubertär, so Rotzlöffelmäßig und das lässt bei mir das Bild des verzweifelten Singles aufsteigen, der gegen die Liebe wettert, weil er sie selbst keinen Partner abbekommt.

    Und Asexualität als quasi-Widerstand finde ich auch daneben.
    (PS: Das Buch habe ich nicht gelesen, ich schreibe von der Informationsgrundlage aus, die sich aus Julias Kommentar ablesen lässt)

  • #9

    Neo (Freitag, 08 Januar 2016 16:43)

    Ich nochmal, ich hab die Kommentare überflogen und lese bei Carmilla, das soll ein Sachbuch sein?! Das glaubt die gute Frau Rösinger doch selbst nicht!

  • #10

    Siku (Freitag, 08 Januar 2016 16:55)

    @Neo: Ich bin auch kein Fan dieser 'lustigen Sprüche', habe das Buch aber ebenfalls nicht selbst gelesen. Der Untertitel 'Sachbuch' scheint Teil der Marketingstrategie des Buches zu sein und stellt vermutlich eine gewollte Provokation dar. Er dürfte satirisch zu interpretieren sein.

  • #11

    Nina (Sonntag, 05 Juni 2016 01:39)

    Ich habe auch immer wieder mit Phasen zu kämpfen, in denen ich mich mit Gewalt versuche “normal" zu machen.
    Gerade fängt so eine Phase wieder an.

    Ist es denn wirklich so, dass eine Partnerschaft Probleme kompensiert und wäre es für das eigene Wohl besser, sich einfach dazu zu zwingen?
    Im Grunde habe ich diese Fragen schon alle zigmal für mich beantwortet, aber ich fange alle paar Monate wieder neu zu grübeln an.