Plädoyer für die Freundschaft

Eine aromantische Beziehung klingt für viele zunächst einmal nach einem Paradoxon. Schließlich bezeichnet Aromantik die Abwesenheit romantischer Gefühle und eine Beziehung scheint das genaue Gegenteil zu implizieren. Wer aber hat den Begriff der Beziehung dahingehend definiert, dass er ausschließlich und exklusiv für romantische Beziehungen gilt? Und ist es nicht an der Zeit, der Freundschaft innerhalb der Beziehungshierarchie zu ihrem Recht zu verhelfen?

 

Eine Beziehung, ebenso wie eine Partnerschaft, ist aus linguistischer Perspektive zunächst völlig wertfrei eine zwischenmenschliche Beziehung, das heißt eine Verbindung zwischen zwei oder mehreren Individuen. Dass dieser an und für sich neutrale Terminus aber heutzutage so romantisch konnotiert ist, verwundert aus der Sicht eines Aromantikers. Dass die meisten Menschen Beziehungen mit romantischen Gefühlen assoziieren, liegt an dem Primat des romantischen Weltbildes in unserer Gesellschaft. Das Wort ‚Beziehung‘, so suggeriert es die Mehrheit der Romantiker, gilt exklusiv nur für Liebesbeziehungen und nicht für die als minderwertig aufgefasste Freundschaft.

 

Was aber ist eine Freundschaft? Nichts anderes als eine Beziehung zwischen zwei Individuen auf Basis von Sympathie und Zuneigung. Erscheint es da nicht lächerlich, dass nur romantische Beziehungen es wert sein sollen, überhaupt als ‚Beziehung‘ bezeichnet zu werden?

Auch aromantische Personen denken teilweise in diesen romantischen Kategorien und betonen, dass sie sich eine nichtromantische Beziehung oder Partnerschaft wünschen. Wer sich eine solche Bindung zu einem anderen Individuum wünscht und dies als ‚aromantische Partnerschaft‘ betitelt, sollte sich bewusst sein, dass er in diesem Punkt die Denkweise romantischer Personen und deren soziale Beziehungshierarchie adaptiert hat, die ihm von klein auf indoktriniert worden ist: nur Beziehungen sind höherwertige emotionale Verbindungen.

 

Aromantische Beziehungen

Aromantiker sollten keine Angst davor haben, das Wort ‚Freundschaft‘ zu benutzen, um ihrem Beziehungswunsch Ausdruck zu verleihen. Denn de facto ist eine nichtromantische Partnerschaft eine Freundschaft und man sollte als Aromantiker dazu stehen, der Freundschaft in seinem Leben einen so zentralen und hohen Stellenwert zuzugestehen. Freundschaft ist für Aromantiker nämlich das nichtromantische Äquivalent zu den romantischen Beziehungen der anderen. Sie ist weder weniger wert noch potentiell weniger emotional und innig als romantische Liebesbeziehungen.

 

Wenn nun ein aromantischer Mensch entgegnet, dass alle Freundschaften, die er bisher mit romantischen Personen geführt hat, in keinster Weise mit seiner Vorstellung einer aromantischen Partnerschaft mithalten konnten und er deswegen den Begriff der Beziehung oder Partnerschaft gebraucht, gibt es auch dafür eine Lösung: Aromantische Freundschaften! Bei dem oftmals stark unterschiedlichen Wert, den Romantiker und Aromantiker Freundschaften beimessen, ist es nur natürlich, dass romantische Menschen aus der Sicht der Aromantischen in Freundschaften ‚versagen‘, wenn sie diese als einer Liebesbeziehung nicht ebenbürtig begreifen.

 

Dabei ist Freundschaft nicht auf die marginale Rolle limitiert, die sie in der romantischen Gesellschaft inne hat. Aromantische Menschen schätzen Freundschaften als das höchste Gut und gestalten die Beziehungen zu ihren Freunden auch dementsprechend. Und wenn sich daraus eine nichtromantische Partnerschaft mit einem Aromantiker ergibt, bleibt auch diese trotz ihrer Exklusivität in ihrem Wesen weiterhin eine Freundschaft.

 

Der Wert der Freundschaft

Es ist an der Zeit, Freundschaften nicht nur im eigenen Leben zu respektieren, sondern auch insgesamt als eine soziale Beziehungskategorie höher zu werten. Ihr kommt eine Schlüsselrolle in der Lebenswelt aromantischer Menschen zu. Sie ist immer genau das, was zwei beteiligte Menschen daraus machen und in keinster Weise lediglich auf unverbindliches, oberflächliches und lockeres Entertainment verpflichtet, das weit hinter der Intensität einer romantischen Liebesbeziehung zurücksteht.

 

Siku

Kommentar schreiben

Kommentare: 11
  • #1

    Gaze (Freitag, 11 Dezember 2015 17:43)

    Woraus schließt du, dass Freundschaft von Romantiker als "minderwertig" eingestuft wird? Ist das ein Schluss aus persönlichen Erfahrungen / Beobachtungen oder stützt du dich auf irgendwelche Studien?

  • #2

    Siku (Freitag, 11 Dezember 2015 18:58)

    Studien zu diesem Thema gibt es meines Wissens nach nicht. Ich stütze mich sowohl auf eigene Beobachtungen und Erfahrungen mit Freundschaften als auch auf die Erfahrungen anderer Aromantiker. Wir haben alle die Erfahrung machen müssen, dass für romantisch orientierte Menschen Freundschaft keine so wichtige Rolle spielt wie für uns und hinter der angestrebten romantischen Partnerschaft zurücksteht. Eine Tendenz ist also vorhanden. Mir ist allerdings genauso klar, dass es auch unter Romantikern Ausnahmen geben mag, nur hatte ich noch nicht das Glück, diesen zu begegnen.

  • #3

    Mia (Freitag, 11 Dezember 2015 20:15)

    Ich hab auch schon in den sauren Apfel beißen müssen und ähnliche Erfahrungen wie Siku machen müssen. Für viele ist man genau solange interessant, wie der nächste Partner (der romantische) kommt und danach wird msn in der Wichtigkeit drastisch nach unten gesetzt, wenn man überhaupt noch was zu melden hat.

  • #4

    Flattermaus (Samstag, 12 Dezember 2015 14:52)

    Beziehungen werden meiner Erfahrung nach gar landläufig nicht durch amoröse Gefühle der Beteiligten definiert, sondern durch die Ausschließlichkeit die dieser Kontakt innerhalb all der Kontakte einer Person hat, nämlich der Bindung zu einem Paar.

    Von der Bedeutung des Wortes Beziehung selbst, hat das noch nicht mal unbedingt etwas mit menschlichen Kontakten zu tun. Man hat auch eine Beziehung zu einem Blatt, das irgendwo von Baum fällt, das man aber gar nicht sieht. Alles steht zu allem in einer Beziehung.

    Ich meide zumeist das Wort Beziehung für Partnerschaft wegen obiger Beliebigkeit, nutze es nur zuweilen als Variante, wenn klar ist, dass es um Partnerschaft geht.

    Aromantische Partnerschaften kann es natürlich geben, beispielsweise Zweckbündnisse. Eine Freundschaft kann auch eine Partnerschaft sein, aber nur, wenn die beiden ein exklusives Paar bilden (oder zumindest die Gruppe einen Ausschließlichkeitsanspruch hat. Zu einem solchen Bündnis können sich ja auch mehr als zwei Personen zusammenschließen.)

    Freundschaft hat meist und auch vom Wort her nicht diesen Exklusivitätsanspruch. Man kann viele Freunde gleichzeitig haben. Aber ein Freund ist immer jemand, der uns viel wert sein sollte, jemand aus dem engen Kreis. Dass heutzutage Fremde als Freunde erklickt werden, ist eine Verhohnepiepelung des Freundschaftsbegriffs, unter dem wir Aromantischen und alle, die Freundschaft hoch schätzen zu leiden haben, aber lasst uns unseren Freunden gute Freunde sein! Lasst uns durch unser Vorleben die Welt ein bisschen mehr im die Richtung bringen, wie es für uns schön ist!

  • #5

    Aaron (Montag, 14 Dezember 2015 19:01)

    Freundschaften sind wichtiger als Liebesbeziehungen! Und das sage ich als "nur" Asexueller Nicht-Aromantiker! Gute Freunde bleiben ein Leben lang.

  • #6

    Sarah (Dienstag, 22 Dezember 2015 03:29)

    Ich habe nie verstanden, warum einigen der Begriff Freundschaft nicht ausreicht. Das liegt wohl wirklich an der gesellschaftlichen Abwertung des Begriffs.

  • #7

    Zara (Montag, 28 März 2016 18:39)

    Einerseits gibt es welche, die einen Korb damit abmildern wollen, dass sie stattdessen eine "Freundschaft" anbieten, andererseits gibt es leider auch zu viele, die eine Freundschaft als geringwertiger als eine Beziehung betrachten und denken, sowas wäre stets (von Frauen) bloß als Trostpreis gemeint.

    Ich biete den meisten Menschen keine Freundschaft an und finde es abstoßend eine Freundschaft als Trostpreis für einen Korb mitanzubieten. Zumal eine Freundschaft über längere Zeit wachsen muss aus einer guten Bekanntschaft. Wer meine Freundschaft als Spatz in der Hand sieht, aber eigentlich weiterhin zur Taube auf dem Dach (= Beziehung/Partnerschaft oder teils auch schlicht nur eine sexuelle Beziehung) schielt, der ist kein Freund, weiß den Wert der Freundschaft nicht zu würdigen und kann bleiben wo der Pfeffer wächst.

  • #8

    Flattermaus (Dienstag, 26 April 2016 16:00)

    zu Zara:
    Das ist wohl in den meisten Fällen von den Frauen gar nicht als Trostpreis gemeint, wenn die (Freundschaft möchte ich es nicht nennen, denn Freundschaft ist doch eine auf eine ganz ganze Weise oftmals auch sehr innige Bindung, die man -wie Du schon anmerkst- gar nicht mal eben so Leuten offerieren kann )weiteren bekanntschaftlichen Kontakt anbieten. Das Etikett ,,Trostpreis" bekommt das dann erst von den wohl meistens männlichen Personen, denen etwas angeboten worden ist, was für die wertlos ist, wie alles außer Sex mit dem anderen Geschlecht, welches einige Männer seltsamerweise als minderwertig erachten, aber sich dennoch nach Sex mit denen sehnen...

  • #9

    Rebekka (Sonntag, 08 Mai 2016 11:57)

    Ich bin noch sehr sehr neu in diesem Thema, aber dank dieses Artikels wurde mir klar, warum ich so gelitten habe als meine (beste) Freundin zum Studium 600km weit weg zog. Sie war meine engste Vertraute und es fühlte sich für mich wie eine Trennung an (Anspielung auf romantische Liebe. Ich war tatsächlich noch nie verliebt und habe lange Zeit nicht verstanden was die anderen alle von mir wollen, bzw. was sie für sich gesucht haben).

    Ich habe, wie schon angemerkt erst vor einigen Wochen angefangen, das Leben und meinen Platz darin in großer Intensität zu hinterfragen, aber alles was ich zu Aromantik und Asexualität lese, nimmt mir einen weiteren Stein vom Herzen.

    Vielen Dank für diese Website!

  • #10

    Zara (Montag, 09 Mai 2016 03:31)

    @Flattermaus:
    Wir sehen das inhaltlich beide ziemlich ähnlich.

    Einerseits gibt es die Exemplare, die alles andere als Sex oder Beziehung als minderwertig empfinden beim jeweiligen Subjekt der Begierde. Andererseits gibt es auch Menschen, die sich irgendwie schuldig oder anders dazu verpflichtet fühlen, den anderen dafür für ihren Korb bzgl. Sex oder Beziehung emotional quasi entschädigen zu müssen und den Korb abzumildern durch das Angebot weiter bekanntschaftlich in Kontakt zu bleiben.

    (Aber nicht jeder, der das Fortsetzen der Bekanntschaft oder je nachdem auch Freundschaft anbietet, macht das aus obigem Motiv. Es kann ja auch völlig ernstgemeint sein von demjenigen, weil er so empfindet und den anderen durchaus sympathisch findet, ohne deshalb Sex oder eine Beziehung mit demjenigen haben zu wollen. ... Es gibt da wiederum zu viele, die nicht mit einem Korb umgehen können und das Angebot zum Fortsetzen der Bekanntschaft, dann als persönlichen Affront empfinden und die Intention dahinter verdrehen und abwerten. )

  • #11

    Zara (Montag, 09 Mai 2016 03:40)

    p.s.:
    ... Oder das Fortsetzen der Bekanntschaft als Fuß in der Tür sehen, um doch noch ans erstrebte Ziel (Sex/Beziehung) beim Subjekt der Begierde zu gelangen. Gerne, indem das Verhalten des SdB entsprechend uminterpretiert wird.

    Ich verstehe derlei Hoffnungen nicht. Auch nicht, wieso manche für Suizidwünsche Liebeskummer angeben. Was ist so schlimm daran, wenn ein bestimmter Mensch keine Beziehung mit einem möchte, dass man sich deshalb gleich umbringen möchte bzw. seinen Lebenssinn verliert? Und wie soll der andere (oder überhaupt ein anderer Mensch) den eigenen Lebenssinn darstellen in einer gesunden Beziehung?

    Romeo und Julia fällt mir dazu ein. Aber deren Verhalten finde ich nicht erstrebenswert romantisch, sondern beide ungesund emotional abhängig voneinander und sehr irrational.