„Das menschliche Maschinengewehr“ – Ein Erfahrungsbericht zur Aromantik

Der Anlass, sich mitzuteilen, entsteht oft aus einem gewissen Leidensdruck und das Erkennen der eigenen Asexualität und Aromantik wird erst notwendig, wenn man die Abgrenzung durch andere merkt. Die Darstellungen der Konflikte, die mit diesen unbekannten Orientierungen einhergehen, verdienen sicher gelesen zu werden. Ich möchte aus meiner persönlichen Perspektive eine weniger dramatische Darstellung einreichen.

 

Mir geht es gut. Ich bin 23 Jahre alt, lebe alleine in Köln, studiere bisher erfolgreich Jura, hatte nie eine Beziehung und war deshalb auch niemals unglücklich.

 

Für mich war das alles immer selbstverständlich. Schon als kleines Kind war mein Lieblings-Disneyfilm Alice im Wunderland, da es der einzige ohne Liebesgeschichte war. Natürlich war er ein Flop an den damaligen Kinokassen... Mein Lieblingsmärchen war die Geschichte vom Gevatter Tod. Es war die einzige ohne Happy End in Form eines „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich und zufrieden [in ihrer monogamen Liebesbeziehung]...“ Auch Max und Moritz waren nach meinem Geschmack.

 

Die zaghaften Versuche meiner Mutter, mir Geschichten mit Liebeskitschelementen zuzuführen, scheiterten. Einmal gab sie mir Die Päpstin zu lesen. Ein tolles Buch über ein junges Mädchen, das sich während des Mittelalters zu emanzipieren versuchte und es bis zum Papst brachte. Dann kam der obligatorische Liebesplot und ich habe das Buch nach ¾ beiseitegelegt und nicht mehr gelesen.  Mit meinem besten Freund guckte ich die aktuellen Serien wie Pokémon, Dragon Ball, One Piece, Digimon und andere Shônen Animes, in denen den Protagonisten Romantik fremd ist und Liebesgeschichten keinen Stellenwert haben. 

 

Aber das allherrschende Konzept der monogamen Liebesbeziehung machte auch vor mir nicht halt. Beim Mutter-Vater-Kind spielen war ich grundsätzlich der Vater und konnte sogleich „Arbeiten gehen“, also mich in den Sandkasten absetzen, um mich somit vorerst noch zu entziehen. Habe ich Liebesbeziehungen von Erwachsenen als Kind hinterfragt, wurde ich ausgelacht und beschwichtigt. Man prophezeite mir: Würde ich erst in die Pubertät kommen, würde es mich schon erwischen und dann würde mir alles klar werden.

 

Nun bin ich jung, aber auch nicht mehr ganz so jung. Die Pubertät liegt hinter mir. Verliebt war ich nie. Sexuell erregt von jemandem, ein Prickeln, Aufregung, Schweiß, wenn mir jemand begegnete? – Fehlanzeige. Mir ist gar nichts aufgegangen. Als ich 22 wurde und meine Mutter mich zum Geburtstag anrief, kam die erste zögernde Frage. Warum gab es da nie jemanden? Leute wurden hellhörig bei jedem Namen, den ich fallen ließ. War das der heimliche Partner? Die Affäre? Sind das „nur“ Freunde, mit denen ich meine Zeit verbringe? Zwischen mir und meiner Familie liegen 300 km, genug Raum für Spekulationen, aber auch genug Raum, um Distanz zu wahren.

 

Ich war mir früh bewusst, wie ich leben wollte. Um ehrlich zu sein, zwang sich mir ein gewisser Lebensstil schon auf, seit ich denken kann. Ich genüge mir selbst. Ich möchte alleine leben, ich bin als Individuum vollständig, ganz und heil. Das habe ich tatsächlich (sic!) genau so mein ganzes Leben lang betont. Meiner Mutter antwortete ich: „Da ist niemand. Und ich will auch niemanden.“ Damit habe ich sie enttäuscht. Wenn ich meine Perspektive zur Romantik erkläre, bin ich „das menschliche Maschinengewehr.“ Bin zu analytisch, zu verkopft, zu rational. Wenn ich versuche, es mir erklären zu lassen, bleibt ein „Es ist nicht immer alles so logisch und erklärbar.“

 

Nun kann ich natürlich nicht verlangen, verstanden zu werden. Ich verstehe Romantiker ja auch nicht. Nur begann es im letzten Jahr, dass ich auf einer Geburtstagsfeier verkuppelt werden sollte. Probleme mit Leuten in Kontakt zu treten hatte ich nie, auch echte, tiefe Freundschaften, teilweise seit 15 Jahren, sind mir nicht fremd. Trotzdem schien man es für nötig zu halten, meinem Liebesleben nachzuhelfen. Jede heterosexuelle Freundschaft meinerseits wurde begeifert. Meinem Gegenüber wurden Hoffnungen aufgeschwatzt, die ich selbst mitnichten bestätigen konnte.

Wenn ich klipp und klar äußere, dass ich keine Beziehung will, wird daraus ein „Daran kann man arbeiten.“ Wenn diese Freunde dann Partner hatten, war ich regelrecht erleichtert. Der Fluch, ständig für ein Paar gehalten zu werden, fiel ab. Aber manche aus meinem Umfeld blickten tatsächlich kopfschüttelnd auf mich herab. Hatte ich doch wieder meine tolle Chance nicht ergriffen...

 

Das letzte Weihnachtsfest feierte ich – wie jedes Jahr – mit meinem besten Freund. Der ist bisexuell, extrem extrovertiert, arbeitete eine Zeitlang in einem Club an der Theke und geht gerne und oft auf die Piste. Als er anfing, noch einmal lang und ausführlich über seine Erfahrungen mit der schwulen Szene, seinen Konflikten mit dem Label Bisexuell und allem was damit einherging zu reden, hielt ich es für fair, ihm auch meine persönliche Perspektive zu schildern.

Dass ich Jungfrau bin, war für ihn tatsächlich ein Schock und dieser Schock hat wiederum mich schockiert.  Ich hatte gehofft, er hätte die Wahrheit erahnen können, aber er muss mir stattdessen ein Sexualleben angedichtet haben. Ich habe versucht zu erklären, dass mir gar nicht der Sinn danach steht, etwas daran zu ändern, allerdings folgte an diesem Weihnachten ein langes „Asexuelles Bingo“...

 

Dieses Jahr haben wir uns natürlich wieder getroffen und uns weitestgehend ausgeschwiegen. Manchmal machte er Reflexvergleiche à la „Würdest du mit so jemand [füge beliebiges Attribut ein] zusammen sein...oh ja, du machst sowas ja nicht...mmh...“

Das wird wohl alles seine Zeit brauchen.

 

Meine Konsequenzen habe ich jedoch bei vielen gezogen. Checke ich die Dinge durch, die ein anderer Mensch von mir erwarten darf, stelle ich fest: Ist man finanziell unabhängig – wie ich momentan mit BAföG und Nebenjob – muss man sich nicht verbiegen lassen. Manche Menschen kontaktiere ich nicht mehr. Es fehlt manchmal einfach der Respekt vor meiner eigenen Perspektive, die ich selbst ja jeder sexuell und romantisch orientierten Person zugestehe. Nur das dies nicht als Zugeständnis gewertet wird: Die Norm bedarf ja keiner Billigung.

 

Anonym

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Kommentare: 7
  • #1

    Aaron (Donnerstag, 31 Dezember 2015 13:38)

    Auch diesen Bericht einer Gastautorin (?) finde ich sehr schön geschrieben. Toll, dass du dich nicht verbiegen lässt und deinen eigenen Weg gehst!

  • #2

    Sarah (Donnerstag, 31 Dezember 2015 16:34)

    Ich schließe mich Aaron an, danke für das Teilen deiner Erfahrungen mit uns und viel Glück auf deinem weiteren Weg.

  • #3

    Niya (Freitag, 01 Januar 2016 10:58)

    Alice im Wunderland war auch mein Lieblingsfilm, weil Liebe da nicht wichtig ist.

  • #4

    Flattermaus (Freitag, 01 Januar 2016 20:31)

    Für einen Film völlig nach meinem Geschmack müsste ich wohl selbst das Drehbuch geschrieben haben. Ich bin zwar kein Filmfreak und kenne vergleichsweise wenig Filme, aber wenn ich in welchen etwas finde, was mich inspiriert, bin ich schon damit zufrieden. Mit dem Rest befasse ich mich dann halt über die Filmdauer hinausgehend nicht. Oder ich finde das dann interessant, so Einblicke in mögliche andere Sichtweisen zu bekommen.

  • #5

    Siku (Samstag, 02 Januar 2016 19:40)

    Ich kann verstehen, was du meinst, Flattermaus: Einblicke in andere Sichtweisen sind meiner Meinung nach notwendig, wenn man seinen Horizont erweitern will und auch (mal) ganz nett. Nicht aber in Dauerschleife...deshalb sagt mir das mediale Angebot der Liebesfilme überhaupt nicht zu und ich schaue keine romantischen Komödien.

    Ich habe das Gefühl, es gibt nichts, was mir solche Filme/Bücher etc. noch über das Konzept der romantischen Liebe erzählen könnten, was ich nicht ohnehin schon mitbekommen habe. Für mich ist das alles ziemlich langweilig, denn ich kann mich mit romantischen Personen nicht identifizieren und somit auch nicht mitfiebern. Und zufriedenstellend ausblenden kann ich den ganzen Kitsch auch nicht.

    Frohes neues Jahr übrigens an alle unsere Leser*innen!

  • #6

    Niya (Samstag, 02 Januar 2016 20:27)

    Auch euch ein frohes Neues!
    Siku, du sprichst mir aus der Seele! Es müsste mal einen eigenen Artikel zu Romantik und Liebe in Filmen und Büchern geben und wie man das als Aromantische Person erlebt. Nämlich hauptsächlich zum Gähnen.

  • #7

    Rebekka (Sonntag, 08 Mai 2016 12:51)

    Sehr toller und ermutigender Artikel. Vielen Dank!