"Stop in the name of love"

Ein Kommentar zur geplanten Reform des Sexualstrafrechts aus asexueller Sicht.

 

Die Mangelhaftigkeit der geplanten Reform des deutschen Sexualstrafrechts geistert derzeit durch alle Medien. Dass „Nein“ auch wirklich „Nein“ heißt, stellt dabei kaum mehr jemand in Frage, dennoch wird nach den derzeitigen Reformvorschlägen des Justizministeriums eine etwas beherztere Gegenwehr gefordert, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die es nun wirklich nicht erlauben, sexuelle Belästigung als vielleicht-doch-irgendwie erwünscht zu deuten. Lesenswerte Kommentare dazu finden sich auf dem Verfassungsblog und bei Spiegel online.

Diesen Kritiken wäre im Grunde nichts mehr hinzuzufügen, wäre da nicht eine Äußerung, mit der eine Sprecherin des Justizministeriums jüngst auf die Kritik von Frauenverbänden und Politiker_innen aller Couleur reagierte: "Sozialübliche Verhaltensweisen zu Beginn einer Beziehung könnten kriminalisiert werden.“, wird diese Sprecherin von der Süddeutschen am 28. April zitiert.

 

Diese Äußerung, die als Ergänzung zum Gesetzesentwurf und dem damit verbundenen diskursiven Standpunkt des Sexualrechts in Deutschland verstanden werden kann, hat mich veranlasst einmal über eine Perspektive nachzudenken, die bislang in den berechtigten und unberechtigten Kommentaren nicht geäußert wurde. Mit anderen Worten, ich möchte aus einer (meiner) (aromantisch-)asexuellen Perspektive meinen Senf dazu geben.

Meiner Ansicht nach ist das in diesem Zusammenhang dringend geboten, und zwar nicht, weil asexuelle Personen von diesem Sexual(un)rechtsstand mehr betroffen wären als allosexuelle Personen oder gar, weil sie einer besonderen Berücksichtigung bedürften. Ich möchte vielmehr argumentieren, dass dieser Gesetzesvorschlag inklusive Kommentar der Sprecherin (nennen wir sie, zu Ehren des Justizministers, „Heike“) eine Norm verdeutlicht und juristisch verfestigt, der alle Menschen unterworfen sind, die jedoch Asexuelle regelmäßig ins Gesicht schlägt.

 

Ich rede im Folgenden von asexuellen Personen, nicht von aromantischen Personen, da sich meine Argumantation irgendwie im Rahmen der Anbahnung romantischer Beziehungen vollzieht, von der ich mal behaupte, dass sie eher von nicht-aromantischen Asexuellen tendenziell eher erlebt wird als von aromantischen Asexuellen. Desweiteren klammere ich den geschlechtsspezifischen Aspekt des Gesetzesvorschlages einmal aus, obgleich er natürlich vorhanden ist und auch in der Regel verstanden wird: denn „natürlich“ sind es Männer, die Frauen sexuell belästigen, und, romantisch verklärt, die Initiative ergreifen. Das ist weder „natürlich“ noch „immer so“, auch Frauen belästigen andere Menschen sexuell, und umgekehrt werden nicht nur Männer sexuell belästigt. Ganz abgesehen natürlich von der sexuellen Belästigung, die nicht-binärgeschlechtliche Personen (vulgo: Trans*) regelmäßig erleiden. Ich werde darum, etwas umständlich, von „Personen“ reden.

 

Annika Reich und Christina Clemm gebührt der Verdienst, mich durch ihren ZEIT-Kommentar, genauer: einen ziemlich versteckten,  und ihrerseits möglicherweise gar nicht der weiter reichenden Bedeutung ihres Satzes eingedenk, auf die Problematik aufmerksam gemacht zu haben: „Das Problem an dem Gesetzentwurf ist nicht, dass die neuen Regelungen falsch sind, sondern dass das Gesetz weiter an einem antiquierten Sexualitäts- und Geschlechterverhältnis festhält. Es geht davon aus, dass grundsätzlich jede Person jederzeit sexuelle Handlungen wünscht, selbst wenn sie das Gegenteil sagt. Nur wenn sie sich körperlich wehrt, will sie wirklich nicht.“

Sehr versteckt und vorsichtig formuliert legen die Autorinnen den Finger auf eine der vielen Wunden: der Gesetzesvorschlag, die Rechtssprechung und augenscheinlich die „Heike“ gehen davon aus, dass grundsätzlich tatsächlich jede Person sexuelle Handlungen wünscht. Reich und Clemm gehen vermutlich ebenfalls davon aus, dass grundsätzlich jede Person zumindest irgendwann einmal sexuelle Handlungen wünscht, sonst müssten sie den Zeitaspekt nicht betonen.

 

Diese Unterstellung ist offenkundig problematisch, wenn sie mit sexueller Belästigung einhergeht, die entweder grob gewalttätig ist, oder dem Anlass/der Beziehung der Beteiligten nicht angemessen ist. Wie Heike aber feststellt: im Rahmen der Anbahnung romantischer Beziehungen ist zumindest Letzteres nicht immer klar. Diese Unklarheit fußt auf der impliziten Feststellung, dass (romantische) Beziehungen grundsätzlich sexuell sind, und früher oder später auf körperliche Intimität und Geschlechtsverkehr hinauslaufen.

Sexuelles Begehren und sexuelle Aktivität sind also die „Default-Einstellung“ eines jeden Menschen. Wenn nicht gewichtige Gründe dagegen sprechen – neben direkter oder indirekter Drohung und brutaler Gewalt ist das vor allem die Unzurechnungsfähigkeit des Opfers – stellt im Rahmen eines Beziehungsbeginns die Ablehnung von sexuellen Handlungen seitens einer beteiligten Person kein Grund für die andere Person dar, dies auch tatsächlich zu respektieren, da die Beziehung qua definitionem ohnehin eine sexuelle sein muss.

 

Es handelt sich also strenggenommen nicht um Belästigung (ob nun sexuell, körperlich oder psychisch), sondern um eine Form romantischer Kommunikation, im Rahmen derer nicht das „Was“ (sexuelle Handlungen), sondern lediglich das „Wann“ verhandelt wird. Und dieses „Wann“ ist immer verhandelbar, da das „Was“ fest wie in Stein gemeißelt steht: ein bloßes „Nein“ ist dann keine kategorische Ablehnung, sondern allenfalls eine temporäre, und kann in der nächsten Sekunde bereits ein „Ja“ sein.

Der Topos ist bekannt: der Held drückt dem widerstrebenden Love Interest einen herzlichen Knutscher auf, der Love Interest knallt ihm daraufhin eine, oder auch nicht, und erwidert den herzlichen Knutscher. Alles gut.

 

Nun dachte ich zwar, dass dieses Ritual schon in den rotstichigen 50ern nur noch in Filmschnulzen zelebriert wurde. Dass diese Erwartungshaltung teilweise jedoch tatsächlich existiert, habe ich am eigenen Leib erfahren. Vor einigen Jahren habe ich mich ein paar Mal mit einem Mann zum Spazierengehen verabredet. Meinerseits rein freundschaftlich, seinerseits offenbar mehr. Eines Tages wollte er es wohl „klären“ und nahm mich fest in den Arm. Ich, total überrascht, stoße ihn fort und sage laut: „Mach das nie wieder! Ich warne dich, ich möchte das nicht, mach das nicht noch einmal!“ Natürlich – tut er es sofort wieder. Das war seinerseits zweifellos nicht in Ordnung und eine Grenzverletzung, und das würde vermutlich auch „Heike“ so sehen. Nach dem derzeit und künftig geltenden Strafgesetz – wäre er im Recht.

 

Nun geht es mir sicherlich nicht darum, die juristischen Mittel an die Hand zu bekommen, den Mann vor Gericht zu ziehen, tatsächlich lag ja auch keinesfalls eine sexuelle Belästigung vor. Nein, mein Plädoyer ist nicht, die Zahl der strafbaren Handlungen zu vergrößern, sondern dies: ich verlange das Recht auf mein „Nein“. Ich möchte, dass dieses „Nein“ gilt, und dass ich weiß und er weiß, dass, wen er sich über dieses „Nein“ hinweg setzt, er mein Recht verletzt.

Was jedoch „Heike“ sagt ist folgendes: Er war im Recht. Sein Sich-Hinwegsetzen über mein „Nein“ war gerechtfertigt, da es im „Namen der Liebe“ geschah, und lediglich eine „sozialübliche Verhaltensweise zu Beginn einer Beziehung“ darstellte. Hätte er mich nicht „nur“ umarmt, sondern sexuell berührt, wäre das immernoch sein Recht gewesen, da sexuelle Handlungen eben integraler Bestandteil von Beziehungen sind, er hätte lediglich das vorweggenommen, was ohnehin geschehen wäre. Eine Frage der Zeit, nicht des Gegenstandes.

 

Das ist nicht problematisch weil ich zufällig asexuell (und aromantisch) bin, sondern es ist grundsätzlich problematisch. Das Recht, sich über ein „Nein“ hinweg zu setzen, wenn es „im Namen der Liebe“ geschieht, bedeutet nichts anderes, als juristisch festzusetzen, dass Grenzverletzungen, Übergriffe auf die sexuelle, körperliche und psychische Selbstbestimmung und situative Entmachtung integraler Bestandteil romantischer Beziehungen sind. Mit dieser Vorstellung werden insbesondere asexuelle Menschen andauernd konfrontiert. Aufgrund dieser Vorstellung sind sie es, die sich rechtfertigen müssen, wenn sie ihr „Nein“ aufrecht erhalten (wollen). Dieses Konzept von romantischen Beziehungen schadet aber nicht nur Asexuellen, sondern allen Menschen. Aus diesem Grund sollte das „Nein“ rechtlich geschützt werden: nicht, um gegen noch mehr Leute Anzeige erstatten zu können. Sondern weil „Nein“ auch in intimen Beziehungen seine Berechtigung hat, sowohl situativ als auch kategorisch.

 

Julia

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Kommentare: 6
  • #1

    Siku (Mittwoch, 04 Mai 2016 16:13)

    Danke, liebe Julia, für diesen ausführlichen Kommentar! Für mich wirft er die zentrale Frage auf, wie man überhaupt einen gesellschaftlichen Konsens für solch ein subjektiv erlebbares Konstrukt wie Romantik, romantische Beziehungen und romantische Verhaltensweisen postulieren kann. In der Form etwa, wie es die liebe Heike mit dem Fantasma der ''sozialüblichen Verhaltensweisen zu Beginn einer Beziehung'' tut.

    Mir ist bewusst, dass es eine solche Richtschnur für die Mehrheit der Menschen zu geben scheint und sich viele auch einig sind in dem, was sie als tolerierbar oder als übergriffig empfinden. Ich stelle allerdings die Vermutung auf, dass nicht wenige sich hier nach persönlichen Erfahrungen und medial vorgelebten Rollenkonstrukten richten. Die asexuelle und auch die aromantische Perspektive werden wie in so vielen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens außer Acht gelassen, obwohl gerade sie neue Denkansätze mit sich bringen können, die dieser Debatte gut tun würden.

  • #2

    Medusa (Mittwoch, 04 Mai 2016 17:15)

    Was will man erwarten in Zeiten, wo bis auf einen verschämten Einzeiler hier und da die asexuelle Orientierung in keinem Sachbuch oder Aufklärungsbuch erwähnt wird? Was die Leute nicht kennen, das wird auch nicht in Betracht gezogen. Nur durch das Versagen des Bildungssystems in punkto Asexualität kann ich mir diese sträfliche Ignoranz erklären.

  • #3

    Maz (Mittwoch, 04 Mai 2016 18:31)

    Im österreichischen Strafrecht scheint es einen wie ich denke recht tauglichen Paragraphen zur sexuellen Belästigung zu geben:

    http://www.jusline.at/218_Sexuelle_Bel%C3%A4stigung_und_%C3%B6ffentliche_geschlechtliche_Handlungen_StGB.html

    Da steht nichts vom Kontext in dem solche Handlungen an einer Person strafbar sind. Den Kontext in diesen Fällen zu bewerten kann doch sowieso am Ende nur die Aufgabe der Gerichte aber nicht bereits der Gesetzgebung sein.

  • #4

    Julia (Mittwoch, 04 Mai 2016 22:17)

    @Maz: ja, ich denke auch, dass es nicht Sache der Gesetzgebung sein kann, den Kontext einer Handlung zu bewerten. Das führt, wie in diesem Fall offenbar, dazu, dass darüber entschieden wird, welcher Kontext unter Umständen unerwünschte sexuelle Handlungen strafbar werden lässt, und welcher nicht. Damit ist dann natürlich auch eine Beurteilung des Kontextes verbunden - siehe "sozialübliche Verhaltensweisen zu Beginn einer Beziehung". Und das führt wiederum dazu, dass bestimmte Kontexte als gar nicht relevant angesehen werden - da haben Personen, deren Grenzen verletzt werden, einfach Pech gehabt - und dass eine Bewertung des Kontextes, und möglicherweise eine damit verbundere Neubewertung gewisser sozialüblicher Verhaltensweisen in der juristischen Praxis unterbunden wird.

  • #5

    Jasmin (Donnerstag, 05 Mai 2016 16:18)

    Vielen Dank für den Text! Er hat in Worte gefasst, was für Probleme generell in der Debatte um die Änderung des Sexualstrafrechts lauern.
    Re: sozialübliche Verhaltensweisen: vielleicht sollte man Verhalten, das sich über den eindeutig erklärten (!) Willen einer Person hinwegsetzt, nicht akzeptieren oder gutheißen. Dass es als "üblich" angesehen wird, macht das ganze ehrlich gesagt nur noch bedenklicher.

  • #6

    Zara (Samstag, 21 Mai 2016 02:20)

    "„Das Problem an dem Gesetzentwurf ist nicht, dass die neuen Regelungen falsch sind, sondern dass das Gesetz weiter an einem antiquierten Sexualitäts- und Geschlechterverhältnis festhält. Es geht davon aus, dass grundsätzlich jede Person jederzeit sexuelle Handlungen wünscht, selbst wenn sie das Gegenteil sagt. Nur wenn sie sich körperlich wehrt, will sie wirklich nicht.“ "

    Ich verstehe den Gesetzesentwurf nicht so, wie es im Zitat steht. Das Gesetz geht davon aus, dass ein mündiger Mensch nicht nur Nein sagt, wenn er nicht will, sondern auch fähig ist, sein Nein energisch ggf. durch körperliche Gegenwehr oder einem Sich-der-Situation-entziehen (kurz: Weggehen)zu vertreten.

    Zu dumm, dass selbst die Polizei teils den Rat gegeben hat an Frauen, sich im Falle einer Vergewaltigung besser nciht zu wehren, um den täter nicht weiter zu reizen.
    Lächerlich, kann ich da nur sagen. Wer garantiert mir denn, dass der nur "normal Sex" mit mir praktizieren möchte statt mir schlechtestenfalls schwere innere Verletzungen zuzufügen durch Penetrieren mit gefährlichen Gegenständen wie abgebrochenenen Flaschenhälsen so wie die junge Studentin in Indien es z.B. erleben musste (und woran sie gestorben ist)und darüber hinaus, dass er mich nicht umbringt danach?! ... Dazu dann oft eine Traumatisierung.

    Nee danke, da halte ich es lieber mit einer "Du oder ich" (wirst draufgehen)-Einstellung.

    Kritisierenswert finde ich daran nur, dass dabei nicht berücksichtigt wird, dass es nicht wenige Menschen gibt, die sich nicht trauen ihr Nicht-Wollen mehr als nur verbal zu vertreten - oder die eben seelisch vorher schon traumatisiert sind und in eine Starre rutschen, die ihnen jede Gegenwehr unmöglich macht. Dass bei einem Nein weitere Annäherungen sofort gestoppt werden müssen, finde ich daher auch sehr begrüßenswert. Beweisschwierigkeiten gibt es ferner auch mit der aktuellen Regelung - im Zweifel wird eben behauptet, dass Opfer habe sich die Verletzungen selbst beigebracht oder stehe nunmal auf harten Sex. (Bei einer Minderjährigen, die vermutlich Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden ist und zu schwer traumatisiert war, um vollständig auszusagen, weshalb es zum Freispruch kam, hieß es glatt, dass es nunmal auch sehr junge Frauen gäbe, die auf Gangbang stehen. Suggeriert werden sollte im Kontext, dass die junge Frau freiwillig mit der Gruppe harten Sex in einem Innenhof gehabt hätte. ... Waren bytheway auch wieder die lieben Neueinwanderer mit Migrationshintergrund.)

    Und entgegen der gern auch von Tätern und täternahen Menschen gestrickten Mär, wissen Sexualstraftäter bzw. Menschen, die mit einem anderen gegen dessen geäußerten Willen Sex haben, sehr wohl, ob ihr Gegenüber auch will oder nicht. Das man nicht gemerkt habe, dass der andere nicht wolle, ist ein gern gestricktes Missverständnis, das diesen Menschen und Gleichgesinnten zu Gute kommt. In Wirklichkeit ist es diesen Menschen bloß egal, ob der andere will oder das Nicht-Wollen und denjenigen zwingen (psychisch bis physisch) verleiht den Kick.